20. DIE LERCHEN

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Welch ein Schwirren, welch ein Flug?
Sei willkommen, Lerchenzug!
Jene streift der Wiese Saum,
Diese rauschet durch den Baum.

Manche schwingt sich himmelan, 5
Jauchzend auf der lichten Bahn;
Eine, voll von Liedeslust,
Flattert hier in meiner Brust.

* * * * *

21. DES KNABEN BERGLIED

Ich bin vom Berg der Hirtenknab',
Seh' auf die SchlÖsser all herab;
Die Sonne strahlt am ersten hier,
Am lÄngsten weilet sie bei mir;
Ich bin der Knab' vom Berge! 5

Hier ist des Stromes Mutterhaus,
Ich trink' ihn frisch vom Stein heraus;
Er braust vom Fels in wildem Lauf,
Ich fang' ihn mit den Armen auf;
Ich bin der Knab' vom Berge! 10

Der Berg, der ist mein Eigentum,
Da ziehn die StÜrme rings herum;
Und heulen sie von Nord und SÜd,
So Überschallt sie doch mein Lied:
Ich bin der Knab' vom Berge! 15

Sind Blitz und Donner unter mir,
So steh' ich hoch im Blauen hier;
Ich kenne sie und rufe zu:
Laßt meines Vaters Haus in Ruh'!
Ich bin der Knab' vom Berge! 20

Und wann die Sturmglock' einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig' ich nieder, tret' ins Glied
Und schwing' mein Schwert und sing' mein Lied:
Ich bin der Knab' vom Berge! 25

* * * * *

22. SCHÄFERS SONNTAGSLIED

Das ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur;
Noch eine Morgenglocke nur,
Nun Stille nah und fern.

Anbetend knie' ich hier. 5
O sÜßes Graun, geheimes Wehn,
Als knieten viele ungesehn
Und beteten mit mir!

Der Himmel nah und fern,
Er ist so klar und feierlich, 10
So ganz, als wollt' er Öffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn!

* * * * *

23. DIE KAPELLE

Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab,
Drunten singt bei Wies' und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab'.

Traurig tÖnt das GlÖcklein nieder, 5
Schauerlich der Leichenchor;
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.

Droben bringt man sie zu Grabe,
Die sich freuten in dem Tal; 10
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.

* * * * *

24. MORGENLIED

Noch ahnt man kaum der Sonne Licht,
Noch sind die Morgenglocken nicht
Im finstern Tal erklungen.

Wie still des Waldes weiter Raum!
Die VÖglein zwitschern nur im Traum, 5
Kein Sang hat sich erschwungen.

Ich hab' mich lÄngst ins Feld gemacht
Und habe schon dies Lied erdacht
Und hab' es laut gesungen.

* * * * *

25. FRÜHLINGSGLAUBE

Die linden LÜfte sind erwacht,
Sie sÄuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang! 5
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schÖner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das BlÜhen will nicht enden.
Es blÜht das fernste, tiefste Tal; 10
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.

* * * * *

26. LOB DES FRÜHLINGS

SaatengrÜn, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich solche Worte singe,
Braucht es dann noch großer Dinge, 5
Dich zu preisen, FrÜhlingstag?

* * * * *

27. DAS SCHWERT

Zur Schmiede ging ein junger Held,
Er hatt' ein gutes Schwert bestellt;
Doch als er's wog in freier Hand,
Das Schwert er viel zu schwer erfand.

Der alte Schmied den Bart sich streicht: 5
"Das Schwert ist nicht zu schwer noch leicht,
Zu schwach ist Euer Arm, ich mein';
Doch morgen soll geholfen sein."

"Nein, heut, bei aller Ritterschaft!
Durch meine, nicht durch Feuers Kraft." 10
Der JÜngling spricht's, ihn Kraft durchdringt,
Das Schwert er hoch in LÜften schwingt.

* * * * *

28. DIE RACHE

Der Knecht hat erstochen den edeln Herrn,
Der Knecht wÄr' selber ein Ritter gern.

Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.

Hat angeleget die RÜstung blank, 5
Auf des Herren Roß sich geschwungen frank.

Und als er sprengen will Über die BrÜck',
Da stutzet das Roß und bÄumt sich zurÜck.

Und als er die gÜldnen Sporen ihm gab,
Da schleudert's ihn wild in den Strom hinab. 10

Mit Arm, mit Fuß er rudert und ringt,
Der schwere Panzer ihn niederzwingt.

* * * * *

29. DER WIRTIN TÖCHTERLEIN

Es zogen drei Bursche wohl Üher den Rhein,
Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein:

"Frau Wirtin, hat Sie gut Bier und Wein?
Wo hat Sie Ihr schÖnes TÖchterlein?"

"Mein Bier und Wein ist frisch und klar. 5
Mein TÖchterlein liegt auf der Totenbahr'."

Und als sie traten zur Kammer hinein,
Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Der erste, der schlug den Schleier zurÜck
Und schaute sie an mit traurigem Blick: 10

"Ach, lebtest du noch, du schÖne Maid!
Ich wÜrde dich lieben von dieser Zeit."

Der zweite deckte den Schleier zu,
Und kehrte sich ab und weinte dazu:

"Ach, daß du liegst auf der Totenbahr'! 15
Ich hab' dich geliebet so manches Jahr."

Der dritte hub ihn wieder sogleich
Und kÜßte sie an den Mund so bleich:

"Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut
Und werde dich lieben in Ewigkeit." 20

* * * * *

30. DER GUTE KAMERAD

Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt. 5

Eine Kugel kam geflogen;
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den FÜßen,
Als wÄr's ein StÜck von mir. 10

Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad':
"Kann dir die Hand nicht geben;
Bleib du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!" 15

* * * * *

31. TAILLEFER

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:
"Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die spÄte Nacht
So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?"

"Das ist der Taillefer, der so gerne singt 5
Im Hofe, wenn er das Rad am Brunnen schwingt,
Im Saale, wann er das Feuer schÜret und facht,
Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht."

Der Herzog sprach: "Ich hab' einen guten Knecht,
Den Taillefer; der dienet mir fromm und recht, 10
Er treibt mein Rad und schÜret mein Feuer gut
Und singet so hell; das hÖhet mir den Mut."

Da sprach der Taillefer: "Und wÄr' ich frei,
Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei.
Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! 15
Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!"

Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild
Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Schild.
Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld;
Sie sprach: "Dort reitet, bei Gott, ein stattlicher Held." 20

Und als er ritt vorÜber an FrÄuleins Turm,
Da sang er bald wie ein LÜstlein, bald wie ein Sturm.
Sie sprach: "Der singet, das ist eine herrliche Lust;
Es zittert der Turm, und es zittert mein Herz in der Brust."

Der Herzog Wilhelm fuhr wohl Über das Meer, 25
Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.
Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand;
"Hei," rief er, "ich fass' und ergreife dich, Engelland!"

Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,
Der edle Taillefer vor den Herzog ritt: 30
"Manch JÄhrlein hab' ich gesungen und Feuer geschÜrt,
Manch JÄhrlein gesungen und Schwert und Lanze gerÜhrt.

"Und hab' ich Euch gedient und gesungen zu Dank,
Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank,
So laßt mich das entgelten am heutigen Tag, 35
VergÖnnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!"

Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer
Aus einem hohen Pferde mit Schwert und mit Speer;
Er sang so herrlich, das klang Über Hastingsfeld;
Von Roland sang er und manchem frommen Held. 40

Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,
Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,
Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut;
Der Taillefer sang und schÜrte das Feuer gut.

Dann sprengt' er hinein und fÜhrte den ersten Stoß, 45
Davon ein englischer Ritter zur Erde schoß;
Dann schwang er das Schwert und fÜhrte den ersten Schlag,
Davon ein englischer Ritter am Boden lag.

Normannen sahen's, die harrten nicht allzulang,
Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang. 50
Hei, sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag!
Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag.

Herzog Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld,
Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt;
Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, 55
Auf dem Haupte die KÖnigskrone von Engelland:

"Mein tapfrer Taillefer, komm! trink mir Bescheid!
Du hast mir viel gesungen in Lieb' und in Leid;
Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang,
Der tÖnet mir in den Ohren mein Leben lang." 60

* * * * *

32. DES SÄNGERS FLUCH

Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr,
Weit glÄnzt es Üher die Lande his an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen GÄrten ein blÜtenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort saß ein stolzer KÖnig, an Land und Siegen reich, 5
Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles SÄngerpaar,
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar; 10
Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blÜhende Genoß.

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! 15
Es gilt uns heut, zu rÜhren des KÖnigs steinern Herz."

Schon stehn die beiden SÄnger im hohen SÄulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der KÖnig und sein Gemahl,
Der KÖnig furchtbar prÄchtig wie blut'ger Nordlichtschein,
Die KÖnigin sÜß und milde, als blickte Vollmond drein. 20

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;
Dann strÖmte himmlisch helle des JÜnglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, 25
Von Freiheit, MÄnnerwÜrde, von Treu' und Heiligkeit,
Sie singen von allem SÜßen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die HÖflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des KÖnigs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott; 30
Die KÖnigin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den SÄngern nieder die Rose von ihrer Brust.

"Ihr habt mein Volk verfÜhret; verlockt ihr nun mein Weib?"
Der KÖnig schreit es wÜtend, er bebt am ganzen Leib;
Er wirft sein Schwert, das blitzend des JÜnglings Brust 35
durchdringt,
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der HÖrer Schwarm.
Der JÜngling hat verrÖchelt in seines Meisters Arm;
Der schlÄgt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,
Er bind't ihn aufrecht feste, verlÄßt mit ihm das Schloß. 40

Doch vor dem hohen Tore, da hÄlt der SÄngergreis
Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer MarmorsÄule, da hat er sie zerschellt;
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und GÄrten gellt:

"Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie tÖne sÜßer Klang 45
Durch eure RÄume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und StÖhnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

"Weh euch, ihr duft'gen GÄrten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht, 50
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,
Daß ihr in kÜnft'gen Tagen versteint, verÖdet liegt.

"Weh dir, verruchter MÖrder! du Fluch des SÄngertums!
Umsonst sei all dein Ringen nach KrÄnzen blut'gen Ruhms!
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht, 55
Sei wie ein letztes RÖcheln in leere Luft verhaucht!"

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehÖrt,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstÖrt;
Noch eine hohe SÄule zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stÜrzen Über Nacht. 60

Und rings statt duft'ger GÄrten ein Ödes Heideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des KÖnigs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des SÄngers Fluch.

Joseph von Eichendorff

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           

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