O mein Heimatland! O mein Vaterland!
Wie so innig, feurig lieb' ich dich!
SchÖnste Ros', ob jede mir verblich,
Duftest noch an meinem Öden Strand!
Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich, 5
KÖnigsglanz mit deinen Bergen maß,
Thronenflitter bald ob dir vergaß,
Wie war da der Bettler stolz auf dich!
Als ich fern dir war, o Helvetia!
Faßte manchmal mich ein tiefes Leid; 10
Doch wie kehrte schnell es sich in Freud',
Wenn ich einen deiner SÖhne sah!
O mein Schweizerland, all mein Gut und Hab'
Wann dereinst die letzte Stunde kommt,
Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt, 15
Nicht versage mir ein stilles Grab!
Werf' ich von mir einst dies mein Staubgewand,
Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:
"Lasse strahlen deinen schÖnsten Stern
Nieder auf mein irdisch Vaterland!" 20
* * * * *
100. WINTERNACHT
Nicht ein FlÜgelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee.
Nicht ein WÖlklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.
Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf, 5
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix' herauf,
Schaute durch das grÜne Eis empor.
Auf dem dÜnnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied; 10
Dicht ich unter meinen FÜßen sah
Ihre weiße SchÖnheit, Glied um Glied.
Mit ersticktem Jammer tastet sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergess' das dunkle Antlitz nie, 15
Immer, immer liegt es mir im Sinn.
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101. ABENDLIED
Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
Fallen einst die mÜden Lider zu, 5
LÖscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh';
Tastend streift sie ab die Wanderschuh',
Legt sich auch in ihre finstre Truh'.
Noch zwei FÜnklein sieht sie glimmend stehn
Wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn, 10
Bis sie schwanken und dann auch vergehn,
Wie von eines Falters FlÜgelwehn.
Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld,
Nur dem finkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hÄlt, 15
Von dem goldnen Überfluß der Welt!