Quellende, schwellende Nacht,
Voll von Lichtern und Sternen
In den ewigen Fernen,
Sage, was ist da erwacht?
Herz in der Brust wird beengt, 5
Steigendes, neigendes Leben,
Riesenhaft fÜhle ich's weben,
Welches das meine verdrÄngt.
Schlaf, da nahst du dich leis,
Wie dem Kinde die Amme, 10
Und um die dÜrftige Flamme
Ziehst du den schÜtzenden Kreis.
* * * * *
91. DAS KIND
Die Mutter lag im Totenschrein,
Zum letztenmal geschmÜckt;
Da spielt das kleine Kind herein,
Das staunend sie erblickt.
Die Blumenkron' im blonden Haar 5
GefÄllt ihm gar zu sehr,
Die Busenblumen, bunt und klar,
Zum Strauß gereiht, noch mehr.
Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
"Du liebe Mutter, gib 10
Mir eine Blum' aus deinem Strauß,
Ich hab' dich auch so lieb."
Und als die Mntter es nicht tut,
Da denkt das Kind fÜr sich:
"Sie schlÄft, doch wenn sie ausgeruht, 15
So tut sie's sicherlich."
Schleicht fort, so leis' es immer kann,
Und schließt die TÜre sacht
Und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
Ob Mutter noch nicht wacht. 20
* * * * *
92. NACHTGEFÜHL
Wenn ich mich abends entkleide,
Gemachsam, StÜck fÜr StÜck,
So tragen die mÜden Gedanken
Mich vorwÄrts oder zurÜck.
Ich denke der alten Tage, 5
Da zog die Mutter mich aus;
Sie legte mich still in die Wiege,
Die Winde brausten ums Haus.
Ich denke der letzten Stunde,
Da werden's die Nachbarn tun; 10
Sie senken mich still in die Erde,
Da werd' ich lange ruhn.
Schließt nun der Schlaf mein Auge,
Wie trÄum' ich oftmals das:
Es wÄre eins von beidem, 15
Nur wÜßt' ich selber nicht, was.
* * * * *
93. GEBET
Die du, Über die Sterne weg,
Mit der geleerten Schale
Ausschwebst, um sie am ew'gen Born
Eilig wieder zu fÜllen:
Einmal schwenke sie noch, o GlÜck, 5
Einmal, lÄchelnde GÖttin!
Sieh, ein einziger Tropfen hÄngt
Noch verloren am Rande,
Und der einzige Tropfen genÜgt,
Eine himmlische Seele, 10
Die hier unten in Schmerz erstarrt,
Wieder in Wonne zu lÖsen.
Ach! sie weint dir sÜßeren Dank,
Als die anderen alle,
Die du glÜcklich und reich gemacht; 15
Laß ihn fallen, den Tropfen!
* * * * *
94. ABENDGEFÜHL
Friedlich bekÄmpfen
Nacht sich und Tag.
Wie das zu dÄmpfen,
Wie das zu lÖsen vermag!
Der mich bedrÜckte, 5
SchlÄfst du schon, Schmerz?
Was mich beglÜckte,
Sage, was war's doch, mein Herz?
Freude wie Kummer,
FÜhl' ich, zerrann, 10
Aber den Schlummer
FÜhrten sie leise heran.
Und im Entschweben,
Immer empor,
Kommt mir das Leben 15
Ganz wie ein Schlummerlied vor.
* * * * *
95. ICH UND DU
Wir trÄumten von einander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurÜck in Nacht.
Du tratst aus meinem Traume, 5
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.
Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund, 10
Zerfließen in eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.
* * * * *
96. SOMMERBILD
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten kÖnne, rot;
Da sprach ich schauernd im VorÜbergehn:
"So weit im Leben ist zu nah' am Tod."
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag, 5
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch ob auch kaum die Luft sein FlÜgelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.
* * * * *
97. HERBSTBILD
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum.
Und dennoch fallen, raschelnd, fern und nah,
Die schÖnsten FrÜchte ab von jedem Banm.
O stÖrt sie nicht, die Feier der Natur! 5
Dies ist die Lese, die sie selber hÄlt,
Denn heute lÖst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fÄllt.
* * * * *
[Illustration: VITA SOMNIUM BREVE, by Arnold BÖcklin]
* * * * *
98. DER LETZTE BAUM
So wie die Sonne untergeht,
Gibt's einen letzten Baum,
Der wie in Morgenflammen steht
Am fernsten Himmelsraum.
Es ist ein Baum und weiter nichts,^ 5
Doch denkt man in der Nacht
Des letzten wunderbaren Lichts,
So wird auch sein gedacht.
Auf gleiche Weise denk' ich dein,
Nun mich die Jugend lÄßt, 10
Du hÄltst mir ihren letzten Schein
FÜr alle Zeiten fest.