Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan, fast eh' gedacht;
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche, 5
Ein aufgetÜrmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem GestrÄuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem WolkenhÜgel
Sah klÄglich aus dem Duft hervor; 10
Die Winde schwangen leise FlÜgel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und frÖhlich war mein Mut:
In meinen Adern, welches Feuer! 15
In meinem Herzen, welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem sÜßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug fÜr dich. 20
Ein rosenfarbnes FrÜhlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und ZÄrtlichkeit fÜr mich—ihr GÖtter!
Ich hofft' es, ich verdient' es nicht!
Doch ach, schon mit der Morgensonne 25
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen KÜssen, welche Wonne!
In deinem Auge, welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick: 30
Und doch, welch GlÜck, geliebt zu werden!
Und lieben, GÖtter, welch ein GlÜck!
* * * * *
2. MAILIED
Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glÄnzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!
Es dringen BlÜten 5
Aus jedem Zweig,
Und tausend Stimmen
Aus dem GestrÄuch,
Und Freud' und Wonne
Aus jeder Brust. 10
O Erd', o Sonne!
O GlÜck, o Lust!
O Lieb', o Liebe!
So golden schÖn,
Wie Morgenwolken 15
Auf jenen HÖhn!
Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im BlÜtendampfe
Die volle Welt. 20
O MÄdchen, MÄdchen,
Wie lieb' ich dich!
Wie blinkt dein Auge!
Wie liebst du mich!
So liebt die Lerche 25
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,
Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut, 30
Die du mir Jugend
Und Freud' und Mut
Zu neuen Liedern
Und TÄnzen giebst.
Sei ewig glÜcklich, 35
Wie du mich liebst!
* * * * *
3. AUF DEM SEE
Und frische Nahrung, neues Blut
Saug' ich aus freier Welt;
Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen hÄlt!
Die Welle wieget unsern Kahn 5
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge, wolkig himmelan,
Begegnen unserm Lauf.
Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne TrÄume, kommt ihr wieder? 10
Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.
Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne;
Weiche Nebel trinken 15
Rings die tÜrmende Ferne;
Morgenwind umflÜgelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht. 20
* * * * *
4. HEIDENRÖSLEIN
Sah' ein Knab' ein RÖslein stehn,
RÖslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschÖn,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah's mit vielen Freuden. 5
RÖslein, RÖslein, RÖslein rot,
RÖslein auf der Heiden.
Knabe sprach: Ich breche dich,
RÖslein aus der Heiden!
RÖslein sprach: Ich steche dich, 10
Daß du ewig denkst an mich,
Und ich will's nicht leiden.
RÖslein, RÖslein, RÖslein rot,
RÖslein auf der Heiden.
Und der wilde Knabe brach 15
's RÖslein auf der Heiden;
RÖslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Mußt' es eben leiden.
RÖslein, RÖslein, RÖslein rot, 20
RÖslein auf der Heiden.
* * * * *
5. WANDRERS NACHTLIED
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung fÜllest,
Ach, ich bin des Treibens mÜde! 5
Was soll all der Schmerz und Lust?
SÜßer Friede,
Komm, ach, komm in meine Brust!
* * * * *
6. EIN GLEICHES
Über allen Gipfeln
Ist Ruh;
In allen Wipfeln
SpÜrest du
Kaum einen Hauch; 5
Die VÖgelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
* * * * *
7. HOFFNUNG
Schaff', das Tagwerk meiner HÄnde,
Hohes GlÜck, daß ich's vollende!
Laß, o laß mich nicht ermatten!
Nein, es sind nicht leere TrÄume:
Jetzt nur Stangen, diese BÄume 5
Geben einst noch Frucht und Schatten.
* * * * *
8. ERINNERUNG
Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das GlÜck ergreifen,
Denn das GlÜck ist immer da.
* * * * *
9. GEFUNDEN
Ich ging im Walde
So fÜr mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich 5
Ein BlÜmchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schÖn.
Ich wollt' es brechen,
Da sagt' es fein: 10
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?
Ich grub's mit allen
Den WÜrzlein aus,
Zum Garten trug ich's 15
Am hÜbschen Haus.
Und pflanzt' es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blÜht so fort. 20
* * * * *
10. MIGNON
Kennst du das Land, wo die Zitronen blÜhn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glÜhn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? 5
Dahin! Dahin
MÖcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Kennst du das Haus? Auf SÄulen ruht sein Dach,
Es glÄnzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan? 10
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
MÖcht' ich mit dir, o mein BeschÜtzer, ziehn.
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
In HÖhlen wohnt der Drachen alte Brut; 15
Es stÜrzt der Fels und Über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, laß uns ziehn!
* * * * *
11. HARFENSPIELER
Wer nie sein Brot mit TrÄnen aß,
Wer nie die kummervollen NÄchte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen MÄchte.
Ihr fÜhrt ins Leben uns hinein, 5
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann Überlaßt ihr ihn der Pein:
Denn alle Schuld rÄcht sich auf Erden.
* * * * *
12. DER KÖNIG IN THULE
Es war ein KÖnig in Thule,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darÜber, 5
Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm Über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
ZÄhlt' er seine StÄdt' im Reich, 10
GÖnnt' alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er saß beim KÖnigsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem VÄtersaale 15
Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heil'gen Becher
Hinunter in die Flut. 20
Er sah ihn stÜrzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen tÄten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.
* * * * *
13. DER FISCHER
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
KÜhl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht, 5
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lockst du meine Brut 10
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinaus in Todesglut?
Ach, wÜßtest du, wie 's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist, 15
Und wÜrdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schÖner her? 20
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklÄrte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, 25
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn: 30
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
* * * * *
14. ERLKÖNIG
Wer reitet so spÄt durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hÄlt ihn warm.
"Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"— 5
"Siehst, Vater, du den ErlkÖnig nicht?
Den ErlenkÖnig mit Kron' und Schweif?"—
"Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif."
"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
"Gar schÖne Spiele spiel' ich mit dir; 10
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
"Meine Mutter hat manch gÜlden Gewand."—
"Mein Vater, mein Vater, und hÖrest du nicht,
Was ErlenkÖnig mir leise verspricht?"—
"Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; 15
In dÜrren BlÄttern sÄuselt der Wind."—
"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?"
"Meine TÖchter sollen dich warten schÖn;
Meine TÖchter fÜhren den nÄchtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."— 20
"Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
ErlkÖnigs TÖchter am dÜstern Ort?"—
"Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau."—
"Ich liebe dich, mich reizt deine schÖne Gestalt; 25
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt."—
"Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
ErlkÖnig hat mir ein Leids getan!"—
Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hÄlt in Armen das Ächzende Kind, 30
Erreicht den Hof mit MÜhe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
* * * * *
[Illustration: ErlkÖnig, by Moritz von Schwind]
* * * * *
15. GESANG DER GEISTER ÜBER DEN WASSERN
Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder 5
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.
StrÖmt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl, 10
Dann stÄubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd, 15
Leis rauschend
Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
SchÄumt er unmutig 20
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See 25
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus 30
SchÄumende Wogen.
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind! 35
* * * * *
16. GRENZEN DER MENSCHHEIT
Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze 5
Über die Erde sÄt,
KÜss' ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust. 10
Denn mit GÖttern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwÄrts
Und berÜhrt 15
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde. 20
Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegrÜndeten
Dauernden Erde:
Reicht er nicht auf, 25
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.
Was unterscheidet
GÖtter von Menschen? 30
Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle, 35
Und wir versinken.
Ein kleiner Ring
Begrenzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd 40
An ihres Daseins
Unendliche Kette.
* * * * *
17. LIED DES TÜRMERS
Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
GefÄllt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne, 5
Ich seh' in der NÄh'
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen
Die ewige Zier, 10
Und wie mir's gefallen,
Gefall' ich auch mir.
Ihr glÜcklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle, 15
Es war doch so schÖn!