18. DIE KRANICHE DES IBYKUS

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Zum Kampf der Wagen und GesÄnge,
Der auf Korinthus' Landesenge
Der Griechen StÄmme froh vereint,
Zog Ibykus, der GÖtterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe, 5
Der Lieder sÜßen Mund Apoll;
So wandert' er an leichtem Stabe
Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt aus hohem BergesrÜcken
Akrokorinth des Wandrers Blicken, 10
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her; nur SchwÄrme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des SÜdens WÄrme 15
In graulichtem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegrÜßt, befreundte Scharen,
Die mir zur See Begleiter waren;
Zum guten Zeichen nehm' ich euch,
Mein Los, es ist dem euren gleich: 20
Von fern her kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen.
Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fÖrdert er die Schritte, 25
Und sieht sich in des Waldes Mitte;
Da sperren auf gedrangem Steg,
Zwei MÖrder plÖtzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand, 30
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die GÖtter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter;
Wie weit er auch die Stimme schickt, 35
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
"So muß ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch bÖser Buben Hand verderben,
Wo auch kein RÄcher mir erscheint!" 40

Und schwer getroffen sinkt er nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder;
Er hÖrt, schon kann er nicht mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krÄhn.
"Von euch, ihr Kraniche dort oben, 45
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag' erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
Und bald, obgleich entstellt von Wunden, 50
Erkennt der Gastfreund in Korinth
Die ZÜge, die ihm teuer sind.
"Und muß ich so dich wiederfinden,
Und hoffte mit der Fichte Kranz
Des SÄngers SchlÄfe zu umwinden, 55
Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hÖren's alle GÄste,
Versammelt bei Poseidons Feste,
Ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
Verloren hat ihn jedes Herz. 60
Und stÜrmend drÄngt sich zum Prytanen
Das Volk, es fodert seine Wut,
Zu rÄchen des Erschlagnen Manen,
Zu sÜhnen mit des MÖrders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge, 65
Der VÖlker flutendem GedrÄnge,
Gelocket von der Spiele Pracht,
Den schwarzen TÄter kenntlich macht?
Sind's RÄuber, die ihn feig erschlagen?
Tat's neidisch ein verborgner Feind? 70
Nur Helios vermag's zu sagen,
Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
Jetzt eben durch der Griechen Mitte.
Und wÄhrend ihn die Rache sucht, 75
Genießt er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eignen Tempels Schwelle
Trotzt er vielleicht den GÖttern, mengt
Sich dreist in jene Menschenwelle,
Die dort sich zum Theater drÄngt. 80

Denn Bank an Bank gedrÄnget sitzen,
Es brechen fast der BÜhne StÜtzen,
HerbeigestrÖmt von fern und nah',
Der Griechen VÖlker wartend da.
Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen, 85
Von Menschen wimmelnd wÄchst der Bau
In weiter stets geschweiftem Bogen
Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zÄhlt die VÖlker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen? 90
Von Kekrops' Stadt, von Aulis' Strand,
Von Phokis, vom Spartanerland,
Von Asiens entlegner KÜste,
Von allen Inseln kamen sie,
Und horchen von dem SchaugerÜste 95
Des Chores grauser Melodie,

Der, streng und ernst, nach alter Sitte
Mit langsam abgemeßnem Schritte
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund. 100
So schreiten keine ird'schen Weiber!
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch Über Menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlÄgt die Lenden, 105
Sie schwingen in entfleischten HÄnden
Der Fackel dÜsterrote Glut,
In ihren Wangen fließt kein Blut.
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenstirnen freundlich wehn, 110
Da sieht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwollnen BÄuche blÄhn.

Und schauerlich gedreht im Kreise,
Beginnen sie des Hymnus Weise,
Der durch das Herz zerreißend dringt, 115
Die Bande um den SÜnder schlingt.
Besinnungraubend, herzbetÖrend
Schallt der Erinnyen Gesang.
Er schallt, des HÖrers Mark verzehrend,
Und duldet nicht der Leier Klang: 120

"Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dÜrfen wir nicht rÄchend nahn,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen 125
Des Mordes schwere Tat vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht.

"Und glaubt er fliehend zn entspringen,
GeflÜgelt sind wir da, die Schlingen 130
Ihm werfend um den flÜcht'gen Fuß,
Daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn ohn' Ermatten,
VersÖhnen kann uns keine Reu',
Ihn fort und fort bis zu den Schatten, 135
Und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend, tanzen sie den Reigen,
Und Stille, wie des Todes Schweigen,
Liegt Überm ganzen Hause schwer,
Als ob die Gottheit nahe wÄr'. 140
Und feierlich nach alter Sitte
Umwandelnd des Theaters Rund
Mit langsam abgemeßnem Schritte,
Verschwinden sie im Hintergrnnd.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet 145
Noch zweifelnd jede Brust und bebet,
Und huldiget der furchtbarn Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht,
Die, unerforschlich, unergrÜndet,
Des Schicksals dunkeln KnÄuel flicht, 150
Dem tiefen Herzen sich verkÜndet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hÖrt man auf den hÖchsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da, sieh da, Timotheus, 155
Die Kraniche des Ibykus!"—
Und finster plÖtzlich wird der Himmel,
Und Über dem Theater hin
Sieht man in schwÄrzlichtem Gewimmel
Ein Kranichheer vorÜberziehn. 160

"Des Ibykus!" — Der teure Name
RÜhrt jede Brust mit neuem Grame,
Und wie im Meere Well' auf Well',
So lÄuft's von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus? den wir beweinen? 165
Den eine MÖrderhand erschlug?
Was ist's mit dem? Was kann er meinen?
Was ist's mit diesem Kranichzug?"

Und lauter immer wird die Frage,
Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage 170
Durch alle Herzen: "Gebet acht,
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der MÖrder bietet selbst sich dar—
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen, 175
Und ihn, an den's gerichtet war!"

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
MÖcht' er's im Busen gern bewahren;
Umsonst! der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewußten kund. 180
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
Die Szene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die BÖsewichter,
Getroffen von der Rache Strahl.

* * * * *

19. DAS VERSCHLEIERTE BILD ZU SAIS

Ein JÜngling, den des Wissens heißer Durst
Nach Sais in Ägypten trieb, der Priester
Geheime Weisheit zu erlernen, hatte
Schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt;
Stets riß ihn seine Forschbegierde weiter, 5
Und kaum besÄnftigte der Hierophant
Den ungeduldig Strebenden. "Was hab ich,
Wenn ich nicht alles habe?" sprach der JÜngling.
"Gibt's etwa hier ein Weniger und Mehr?
Ist deine Wahrheit wie der Sinne GlÜck 10
Nur eine Summe, die man grÖßer, kleiner
Besitzen kann und immer doch besitzt?
Ist sie nicht eine einz'ge, ungeteilte?
Nimm Einen Ton aus einer Harmonie,
Nimm Eine Farbe aus dem Regenbogen, 15
Und alles, was dir bleibt, ist nichts, solang'
Das schÖne All der TÖne fehlt und Farben."

Indem sie einst so sprachen, standen sie
In einer einsamen Rotonde still,
Wo ein verschleiert Bild von RiesengrÖße 20
Dem JÜngling in die Augen fiel. Verwundert
Blickt er den FÜhrer an und spricht: "Was ist's,
Das hinter diesem Schleier sich verbirgt?"—
"Die Wahrheit", ist die Antwort.—"Wie?" ruft jener,
"Nach Wahrheit streb ich ja allein, und diese 25
Gerade ist es, die man mir verhÜllt?"

"Das mache mit der Gottheit aus", versetzt
Der Hierophant. "Kein Sterblicher, sagt sie,
RÜckt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Und wer mit ungeweihter, schuld'ger Hand 30
Den heiligen, verbotnen frÜher hebt,
Der, spricht die Gottheit"—"Nun?"—"Der sieht die Wahrheit."
"Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst,
Du hÄttest also niemals ihn gehoben?"

"Ich?—Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu 35
Versucht."—"Das fass' ich nicht. Wenn von der Wahrheit
Nur diese dÜnne Scheidewand mich trennte"—
"Und ein Gesetz", fÄllt ihm sein FÜhrer ein,
"Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst,
Ist dieser dÜnne Flor—fÜr deine Hand 40
Zwar leicht, doch zentnerschwer fÜr dein Gewissen."

Der JÜngling ging gedankenvoll nach Hause;
Ihm raubt des Wissens brennende Begier
Den Schlaf, er wÄlzt sich glÜhend auf dem Lager
Und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel 45
FÜhrt unfreiwillig ihn der scheue Tritt.
Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen,
Und mitten in das Innre der Rotonde
TrÄgt ein beherzter Sprung den Wagenden.

Hier steht er nun, und grauenvoll umfÄngt 50
Den Einsamen die lebenlose Stille,
Die nur der Tritte hohler Widerhall
In den geheimen GrÜften unterbricht.
Von oben durch der Kuppel Öffnung wirft
Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, 55
Und furchtbar wie ein gegenwÄrt'ger Gott
ErglÄnzt durch des GewÖlbes Finsternisse
In ihrem langen Schleier die Gestalt.

Er tritt hinan mit ungewissem Schritt;
Schon will die freche Hand das Heilige berÜhren, 60
Da zuckt es heiß und kÜhl durch sein Gebein
Und stÖßt ihn weg mit unsichtbarem Arme.
UnglÜcklicher, was willst du tun? So ruft
In seinem Innern eine treue Stimme.
Versuchen den Allheiligen willst du? 65
Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund,
RÜckt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Doch, setzte nicht derselbe Mund hinzu:
Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen?
"Sei hinter ihm, was will! Ich heb ihn auf." 70
Er rufts mit lauter Stimm'. "Ich will sie schauen."
Schauen!
Gellt ihm ein langes Echo spottend nach.

Er spricht's und hat den Schleier aufgedeckt.
"Nun", fragt ihr, "und was zeigte sich ihm hier?" 75
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig 80
War seines Lebens Heiterkeit dahin,
Ihn riß ein tiefer Gram zum frÜhen Grabe.
"Weh dem", dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestÜme Frager in ihn drangen,
"Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld, 85
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein!"

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           

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