114. LIEDERSEELEN

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In der Nacht, die die BÄume mit BlÜten deckt,
Ward ich von sÜßen Gespenstern erschreckt,
Ein Reigen schwang im Garten sich,
Den ich mit leisem Fuß beschlich;
Wie zarter Elfen Chor im Ring 5
Ein weißer lebendiger Schimmer ging.
Die Schemen hab' ich keck befragt:
Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt!

"Ich bin ein WÖlkchen, gespiegelt im See."
"Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee." 10
"Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!"
"Ich bin ein Geheimnis, geflÜstert ins Ohr."
"Ich bin ein frommes, gestorbnes Kind."
"Ich bin ein Üppiges Blumengewind—"
"Und die du wÄhlst, und der's beschied 15
Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied."

* * * * *

115. NACHTGERÄUSCHE

Melde mir die NachtgerÄusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!—
Erst das traute Wachtgebell der Hunde,
Dann der abgezÄhlte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-ZwiegesprÄch am Ufer, 5
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders, 10
Dann der ungehÖrte Tritt des Schlummers.

* * * * *

116. DAS TOTE KIND

Es hat den Garten sich zum Freund gemacht,
Dann welkten er und es im Herbste sacht,
Die Sonne ging, und es und er entschlief,
GehÜllt in eine Decke weiß und tief.

Jetzt ist der Garten unversehns erwacht,
Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht.
"Wo steckst du?" summt es dort und summt es hier.
Der ganze Garten frÄgt nach ihr, nach ihr.

Die blaue Winde klettert schlank empor
Und blickt ins Haus: "Komm hinterm Schrank hervor!
Wo birgst du dich? Du tust dir's selbst zu leid!
Was hast du fÜr ein neues Sommerkleid?"

* * * * *

117. IM SPÄTBOOT

Aus der Schiffsbank mach' ich meinen PfÜhl,
Endlich wird die heiße Stirne kÜhl!
O wie sÜß erkaltet mir das Herz!
O wie weich verstummen Lust und Schmerz!
Über mir des Rohres schwarzer Rauch 5
Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch.
HÜben hier und drÜben wieder dort
HÄlt das Boot an manchem kleinen Port:
Bei der Schiffslaterne kargem Schein
Steigt ein Schatten aus und niemand ein. 10
Nur der Steurer noch, der wacht und steht!
Nur der Wind, der mir im Haare weht!
Schmerz und Lust erleiden sanften Tod.
Einen Schlumm'rer trÄgt das dunkle Boot.

* * * * *

118. VOR DER ERNTE

Am wolkenreinen Himmel geht
Die blanke Sichel schÖn,
Im Korne drunten wogt und weht
Und wÜhlt und rauscht der FÖhn.

Sie wandert voller Melodie 5
HochÜber durch das Land.
FrÜh morgen schwingt die Schnitt'rin sie
Mit sonnenbrauner Hand.

* * * * *

119. DER RÖMISCHE BRUNNEN

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, Überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich. 5
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strÖmt und ruht.

* * * * *

120. NEUJAHRSGLOCKEN

In den LÜften schwellendes GedrÖhne,
Leicht wie Halme biegt der Wind die TÖne

Leis' verhallen, die zum ersten riefen,
Neu GelÄute hebt sich aus den Tiefen.

Große Heere, nicht ein einzler Rufer! 5
Wohllaut flutet ohne Strand und Ufer.

* * * * *

121. SÄERSPRUCH

Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung!
Die Erde bleibt noch lange jung!
Dort fÄllt ein Korn, das stirbt und ruht.
Die Ruh' ist sÜß. Es hat es gut.
Hier eins das durch die Scholle bricht. 5
Es hat es gut. SÜß ist das Licht.
Und keines fÄllt aus dieser Welt
Und jedes fÄllt, wie 's Gott gefÄllt.

* * * * *

122. SCHNITTERLIED

Wir schnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen,
Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen,
Von donnernden dunklen Gewittern bedroht—
Gerettet das Korn und nicht einer, der darbe!
Von Garbe zu Garbe 5
Ist Raum fÜr den Tod—-
Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot!

Hoch thronet ihr SchÖnen auf gÜldenen Sitzen,
In strotzenden Garben umflimmert von Blitzen—
Nicht eine, die darbe! Wir bringen das Brot! 10
Zum Reigen! Zum Tanze! Zur tosenden Runde!
Von Munde zu Munde
Ist Raum fÜr den Tod—-
Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot!

* * * * *

123. NACH EINEM NIEDERLÄNDER

Der Meister malt ein kleines zartes Bild,
ZurÜckgelehnt, beschaut er's liebevoll.
Es pocht. "Herein." Ein flÄmischer Junker ist's.
Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn',
Der vor Gesundheit fast die Wange birst. 5
Sie rauscht von Seide, flimmert von Geschmeid.
"Wir haben's eilig, lieber Meister. Wißt,
Ein wackrer Schelm stiehlt mir das TÖchterlein.
Morgen ist Hochzeit. Malet mir mein Kind!"
"Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinselstrich!" 10
Sie treten lustig vor die Staffelei:
Auf einem blanken Kissen schlummernd liegt
Ein feiner MÄdchenkopf. Der Meister fetzt
Des Blumenkranzes tiefste Knospe noch
Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. 15
—"Nach der Natur?" —"Nach der Natur. Mein Kind.
Gestern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienst."

* * * * *

124. EINGELEGTE RUDER

Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.

Nichts, das mich verdroß! Nichts, das mich freute!
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!

Unter mir—ach, aus dem Licht verschwunden— 5
TrÄumen schon die schÖnern meiner Stunden.

Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?

* * * * *

125. EWIG JUNG IST NUR DIE SONNE

Heute fanden meine Schritte mein vergeßnes Jugendtal,
Seine Sohle lag verÖdet, seine Berge standen kahl.
Meine BÄume, meine TrÄume, meine buchendunkeln HÖh'n—
Ewig jung ist nur die Sonne, sie allein ist ewig schÖn.
DrÜben dort in schilf'gem Grunde, wo die mÜde Lache liegt, 5
Hat zu meiner Jugendstunde sich lebend'ge Flut gewiegt,
Durch die Heiden, durch die Weiden ging ein wandernd
HerdgetÖn—-
Ewig jung ist nur die Sonne, sie allein ist ewig schÖn.

* * * * *

126. REQUIEM

Bei der Abendsonne Wandern
Wann ein Dorf den Strahl verlor,
Klagt sein Dunkel es den andern
Mit vertrauten TÖnen vor.

Noch ein GlÖcklein hat geschwiegen 5
Auf der HÖhe his zuletzt.
Nun beginnt es sich zu wiegen,
Horch, mein Kilchberg lÄutet jetzt!

* * * * *

127. ABENDWOLKE

So stille ruht im Hafen
Das tiefe Wasser dort,
Die Ruder sind entschlafen,
Die Schifflein sind im Port.

Nur oben in dem Äther 5
Der lauen Maiennacht,
Dort segelt noch ein spÄter
Friedfert'ger Ferge sacht.

Die Barke still und dunkel
FÄhrt hin im DÄmmerschein 10
Und leisem Sterngefunkel
Am Himmel und hinein.

* * * * *

128. DAS GLÖCKLEIN

Er steht an ihrem PfÜhl in herber Qual,
Den jungen Busen muß er keuchen sehn—
Er ist ein Arzt. Er weiß, sein traut Gemahl
Erblaßt, sobald die Morgenschauer wehn.

Sie hat geschlummert: "Lieber, du bei mir? 5
Mir trÄumte, daß ich auf der Alpe war,
Wie schÖn mir trÄumte, das erzÄhl' ich dir—
Du schickst mich wieder hin das nÄchste Jahr!

"Dort vor dem Dorf—du weißt den moos'gen Stein—
Saß ich umhallt von lauter HerdgetÖn, 10
An mir vorÜber zogen mit Schalmei'n
Die Herden nieder von den SommerhÖh'n.

"Die Herden kehren alle heut nach Haus—
Das ist die letzte wohl? Nein, eine noch:
Noch ein GelÄut klingt an und eins klingt aus! 15
Das endet nicht! Da kam das letzte doch!

"Mich Überflutete das Abendrot,
Die Matten dunkelten so grÜn und rein,
Die Firnen brannten aus und waren tot,
DarÜber glomm ein leiser Sternenschein— 20

"Du horch! ein GlÖcklein lÄutet in der Schlucht,
Verirrt, verspÄtet, wandert's ohne Ruh,
Ein armes GlÖcklein, das die Herde sucht—
Aufwacht' ich dann, und bei mir warest du!

"O bring mich wieder auf die lieben HÖh'n— 25
Sie haben, sagst du, mich gesund gemacht …
Dort war es schÖn! Dort war es wunderschÖn!
Das GlÖcklein! Wieder! HÖrst du's? Gute Nacht…."

* * * * *

129. DIE BANK DES ALTEN

Ich bin einmal in einem Tal gegangen,
Das fern der Welt, dem Himmel nahe war.
Durch das GelÄnde seiner Wiesen klangen
Die Sensen rings der zweiten Mahd im Jahr.

Ich schritt durch eines DÖrfchens stille Gassen. 5
Kein Laut. Vor einer HÜtte saß allein
Ein alter Mann, von seiner Kraft verlassen,
Und schaute feiernd auf den Firneschein.

Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,
Seh' ich den Himmel jenes Tales blaun, 10
Den MÜden seh ich wieder auf die Firne,
Die nahen, selig klaren Firnen schaun.

's ist nur ein Traum. Wohl ist der Greis geschieden
Aus dieser Sonne Licht von Jahren schwer;
Er schlummert wohl in seines Grabes Frieden, 15
Und seine Bank steht vor der HÜtte leer.

Noch pulst mein Leben feurig. Wie den andern
Kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrÄt;
Dann will ich langsam in die Berge wandern
Und suchen, wo die Bank des Alten steht. 20

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           

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