Der Nebel steigt, es fÄllt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
Und geht es draußen noch so toll, 5
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schÖne Welt,
So gÄnzlich unverwÜstlich!
Und wimmert auch einmal das Herz,—
Stoß an und laß es klingen! 10
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.
Der Nebel steigt, es fÄllt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag 15
Vergolden, ja vergolden!
Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der FrÜhling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen. 20
Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!
* * * * *
103. WEIHNACHTSLIED
Vom Himmel in die tiefsten KlÜfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen DÜfte
Und hauchen durch die WinterlÜfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht. 5
Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich hÖre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In mÄrchenstille Heimlichkeit. 10
Ein frommer Zauber hÄlt mich wieder,
Anbetend, staunend muß ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fÜhl's: ein Wunder ist geschehn. 15
* * * * *
104. SOMMERMITTAG
Nun ist es still um Hof und Scheuer
Und in der MÜhle ruht der Stein;
Der Birnenbaum mit blanken BlÄttern
Steht regungslos im Sonnenschein.
Die Bienen summen so verschlafen; 5
Und in der offnen Bodenluk',
Benebelt von dem Duft des Heues,
Im grauen RÖcklein nickt der Puk.
Der MÜller schnarcht und das Gesinde,
Und nur die Tochter wacht im Haus; 10
Die lachet still und zieht sich heimlich
FÜrsichtig die Pantoffeln aus.
Sie geht und weckt den MÜllerburschen,
Der kaum den schweren Augen traut:
"Nun kÜsse mich, verliebter Junge; 15
Doch sauber, sauber, nicht zu laut."
* * * * *
105. DIE STADT
Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drÜckt die DÄcher schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
EintÖnig um die Stadt. 5
Es rauscht kein Wald, es schlÄgt im Mai
Kein Vogel ohn' Unterlaß;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras. 10
Doch hÄngt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber fÜr und fÜr
Ruht lÄchelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer. 15
* * * * *
106. ÜBER DIE HEIDE
Über die Heide hallet mein Schritt;
Dumpf aus der Erde wandert es mit.
Herbst ist gekommen, FrÜhling ist weit—-
Gab es denn einmal selige Zeit?
Brauende Nebel geisten umher; 5
Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.
WÄr' ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe,—wie flog es vorbei!
* * * * *
107. LUCIE
Ich seh sie noch, ihr BÜchlein in der Hand,
Nach jener Bank dort an der Gartenwand
Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen;
Sie wußte wohl, es mÜhte sie das Lernen.
Nicht war sie klug, nicht schÖn; mir aber war 5
Ihr blaß Gesichtchen und ihr blondes Haar,
Mir war es lieb; aus der Erinnrung DÜster
Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister.
Ihr schmales Bettchen teilte sie mit mir,
Und nÄchtens Wang' an Wange schliefen wir; 10
Das war so schÖn! Noch weht ein Kinderfrieden
Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden.
Ein Ende kam;—ein Tag, sie wurde krank
Und lag im Fieber viele Wochen lang;
Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen, 15
Da ging sie heim; es blÜhten die Springen.
Die Sonne schien; ich lief ins Feld hinaus
Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus.
Wohl zwanzig Jahr und drÜber sind vergangen—
An wie viel andrem hat mein Herz gehangen! 20
Was hab' ich heute denn nach dir gebangt?
Bist du mir nah und hast nach mir verlangt?
Willst du, wie einst nach unsern Kinderspielen,
Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fÜhlen?
* * * * *
108. EINE FRÜHLINGSNACHT
Im Zimmer drinnen ist's so schwÜl;
Der Kranke liegt auf dem heißen PfÜhl.
Im Fieber hat er die Nacht verbracht;
Sein Herz ist mÜde, sein Auge verwacht.
Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand; 5
Er hÄlt die Uhr in der weißen Hand.
Er zÄhlt die SchlÄge, die sie pickt,
Er forschet, wie der Weiser rÜckt;
Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht,
Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht. 10
Die Wartfrau sitzet geduldig dabei,
Harrend, bis alles vorÜber sei.—
Schon auf dem Herzen drÜckt ihn der Tod;
Und draußen dÄmmert das Morgenrot.
An die Fenster klettert der FrÜhlingstag, 15
MÄdchen und VÖgel werden wach.
Die Erde lacht in Liebesschein,
Pfingstglocken lÄuten das Brautfest ein;
Singende Burschen ziehn Übers Feld
Hinein in die blÜhende, klingende Welt.— 20
Und immer stiller wird es drin;
Die Alte tritt zum Kranken hin.
Der hat die HÄnde gefaltet dicht;
Sie zieht ihm das Laken Übers Gesicht.
Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer, 25
Und drinnen wacht kein Auge mehr.
* * * * *
109. APRIL
Das ist die Drossel, die da schlÄgt,
Der FrÜhling, der mein Herz bewegt.
Ich fÜhle, die sich hold bezeigen,
Die Geister aus der Erde steigen.
Das Leben fließet wie ein Traum— 5
Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.
* * * * *
110. MAI
Die Kinder schreien Vivat hoch!
In die blaue Luft hinein;
Den FrÜhling setzen sie ans den Thron.
Der soll ihr KÖnig sein.
* * * * *
Die Kinder haben die Veilchen gepflÜckt, 5
All, all, die da blÜhten am MÜhlengraben.
Der Lenz ist da; sie wollen ihn fest
In ihren kleinen FÄusten haben.
* * * * *
111. ELISABETH
Meine Mutter hat's gewollt,
Den andern ich nehmen sollt';
Was ich zuvor besessen,
Mein Herz sollt es vergessen;
Das hat es nicht gewollt. 5
Meine Mutter klag' ich an,
Sie hat nicht wohl getan;
Was sonst in Ehren stÜnde,
Nun ist es worden SÜnde.
Was fang' ich an? 10
FÜr all mein Stolz und Freud'
Gewonnen hab' ich Leid.
Ach, wÄr' das nicht geschehen,
Ach, kÖnnt' ich betteln gehen
Über die braune Heid'! 15
* * * * *
112. FRAUENHAND
Ich weiß es wohl, kein klagend Wort
Wird Über deine Lippen gehen;
Doch was so sanft dein Mund verschweigt,
Muß deine blasse Hand gestehen.
Die Hand, an der mein Auge hÄngt, 5
Zeigt jenen feinen Zug der Schmerzen,
Und daß in schlummerloser Nacht
Sie lag auf einem kranken Herzen.
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113. SCHLIESSE MIR DIE AUGEN BEIDE
Schließe mir die Augen beide
Mit den lieben HÄnden zu!
Geht doch alles, was ich leide,
Unter deiner Hand zur Ruh'.
Und wie leise sich der Schmerz 5
Well' um Welle schlafen leget,
Wie der letzte Schlag sich reget,
FÜllest du mein ganzes Herz.
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[Illustration: Elfenreigen, by Moritz von Schwind]
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